Die goldene Brücke, auch Brückenspiel genannt, ist ein zweiteiliges Singspiel für Kinder, das Elemente des Laufspiels, des Fangspiels und des Ziehkampfspiels miteinander vereint. Weitere Namen sind Die steinerne Brücke, Die goldene Pforte, Das goldene Tor oder Engel und Teufel. Bei den Pennsylvaniadeutschen (Pfälzern) war das Spiel als Die holländisch’ Brück’ bekannt.
Varianten des möglicherweise im Mittelalter entstandenen Bewegungsspiels sind im anglo-amerikanischen Raum unter den Namen The King and his Train (Der König und sein Gefolge), Oranges and Lemons und London Bridge verbreitet.
Spielablauf
Erster Teil:
Aus einer Gruppe von Kindern werden zwei durch Absprache, Auszählung oder Los erwählt. Diese stellen sich einander gegenüber und bilden, indem sie die Hände ineinanderlegen und dieselben in Form eines Torbogens emporheben, eine Pforte. Beide Kinder werden jeweils bezeichnet mit Sonne und Mond (oder wahlweise Himmel und Hölle bzw. Engel und Teufel). Die übrigen Spieler stellen sich hintereinander die Hände reichend bzw. mit den Händen die Kleidung oder die Schultern bzw. Hüfte des voranstehenden Kindes haltend in einer Reihe auf und schreiten im Gänsemarsch singend durch die Pforte.
Während des Überquerens der Torbrücke lassen die den Torbogen darstellenden Kinder (Torwächter) die Arme beidseitig herabsinken (Fallgatter), wodurch ein Kind (z. B. das dritte oder das letzte) aus der durchziehenden Reihe gefangen wird. Das so gefangene Kind muss sich nun für Sonne oder Mond entscheiden und hinter eine der beiden Torseiten Aufstellung nehmen. Die restlichen Kinder ziehen weiter. Der Marsch durch die Bogenpforte beginnt von neuem, bis alle Kinder in selber Weise gefangen sind, sich auf beide Torseiten verteilt und somit zwei gegnerische Parteien gebildet haben.
Zweiter Teil:
In der Folge stehen Sonnenkinder und Mondenkinder sich in zwei Mannschaften gegenüber, wovon jeweils die eine Reihe durch Armziehen versucht, die Spieler der anderen, z. B. in Form eines Zwei- oder Gruppenkampfes, über eine vorgegebene Bodenmarkierung zu sich hinüberzuziehen. Die Mannschaft, die in der Finalrunde die meisten Spieler ergattert hat, ist Gewinner des Spiels.
In einer alternativen Variante erfahren die Mitspieler erst am Ende, welche Seite Himmel und Hölle ist. Die Teufel müssen dann die Engel einfangen, die ebenfalls zu Teufeln werden.
Spielreime (Auswahl)
Deutschsprachige Varianten
Die Überlieferungen der Sing- und Abzählreime variieren regional. Der Volkskundler Wilhelm Mannhardt analysierte Mitte des 19. Jahrhunderts etwa 27 Varianten aus Mittel-, West- und Nordeuropa, wobei laut Karl Julius Schröer die slawischen und ungarischen Varianten inhaltlich einander näher stünden als diese den deutschen. Der Historiker Kurt Ranke zählte Mitte des 20. Jahrhunderts über 90 Varianten allein im deutschsprachigen Raum. Zu den am weitesten verbreiteten gehören die Reime in Imperativform („Ziehet durch, ziehet durch!…“). Überliefert sind zudem abweichende Formen der musikalischen Untermalung.
Variante A „Mit einerlei, mit zweierlei…“ ist laut Mannhardt vermutlich aus einer älteren Fassung „Mit Steinerlein, mit Beinerlein…“ (bzw. „Bäumerlein“) entstanden.
Darüber hinaus existieren variationsreiche Formen des Dialogs zwischen den Reisenden und der Torbrücke, teils ohne bzw. mit nicht übermittelter Melodie (vgl. z. B. Vogtländische Kinderlieder, Dunger 1874, oder Nürnberger Kinderlieder, Lehmann 1890):
Englischsprachige Varianten
In den Fassungen von The King and his Train (Open the Gates as High as the Sky) und Oranges and Lemons fehlt der zweite Bestandteil des Spiels, der Ziehkampf, auch Tug of War oder French and English genannt. Die später im anglo-amerikanischen Raum verbreitete, vollständige Spielfassung London Bridge ist erst seit den 1880ern schriftlich bezeugt und geht auf die kontinentaleuropäische, vermutlich deutsche Spielweise zurück. Als Singreime sind Varianten von Oranges and Lemons und London Bridge is Falling Down aus dem 18. Jahrhundert überliefert, die ansonsten in keiner Beziehung zum Spiel stehen.
Für The King and his Train hat sich hingegen folgender Reim erhalten:
Die Namen der beiden Torseiten sind in dieser Variante als Rose und Tulpe überliefert.
Hintergrund
Wilhelm Mannhardt erläuterte, das reigenähnliche Kinderspiel versinnbildliche die (vorchristliche) Vorstellung von einem Zug der Seelen über die Totenbrücke, die zum Jenseits führe. Laut Georg Buschan spiegele der Schlussakt den Kampf der zölestischen mit den infernalischen Gewalten wider. In dieser Form (Himmel und Hölle bzw. Engel und Teufel), aus der Historiker wie Johann Nepomuk Sepp eine Anlehnung an das altbaierische Muspilli ableiten, unterlag Die goldene Brücke möglicherweise einer Christianisierung.
Über das Alter des zumeist von Mädchen präferierten Kinderspiels gibt es unter Historikern unterschiedliche Ansichten. Umstritten ist, ob das von Meister Altswert, Johann Geiler von Kaysersberg und Johann Fischart erwähnte Spiel Die faule Brücke oder Ritter durchs Gitter mit dem Brückenspiel identisch ist.
Literatur
- Karl Julius Schröer: Kampf der Seelen. In: Beitrag zu deutschen Mythologie und Sittenkunde. In Commission bei K. F. Wigand, Presburg 1855, S. 30–33.
- Wilhelm Mannhardt: Das Brückenspiel. In: Zeitschrift für deutsche Mythologie und Sittenkunde. Vierter Band, Verlag der Dietrichschen Buchhandlung, Göttingen 1859, S. 301–320.
- Franz Magnus Böhme: Die goldene Brücke. In: Geschichte des Tanzes in Deutschland. Verlag von Breitkopf & Härtel, Leipzig 1886, S. 305–307.
- Kurt Ranke: Meister Altswerts Spielregister. In: Robert Wildhaber: Schweizerisches Archiv für Volkskunde (Archives suisses des traditions populaires). Band 48, Schweizerische Gesellschaft für Volkskunde, Basel 1952, S. 191–196.
- Eliza Leslie: The King and his Train. In: American Girl's Book. Munroe & Francis, Boston 1831, S. 24–26.
- William Wells Newell: London Bridge. In: Games and Songs of American Children. Harper & Brothers Publishers, New York 1883, S. 204–212.
- Iona Archibald Opie, Peter Opie: Chains and Captives. In: The Singing Game. Oxford University Press, Oxford 1985, S. 55–72.
Einzelnachweise


